Erblast-II / Erblast

von
André Wyrwa

Noch vor nicht langer Zeit registrierte ich es nicht mal besonders, wenn mir ein Mensch begegnete, der auffällig schwarz gekleidet war. Doch seit meinem Leben ein weibliches Wesen hinzutrat und mir eine unbekannte gleichsam traumhafte wie reale Welt offenbarte, scheint diese mich mit Hilfe raffinierter Zufälle zu sich ziehen zu wollen.

Als ich vor kurzem ohne höhere Motivation an einer öffentlichen Anhörstation in das zweite Erblast-Album reinhörte und dabei von Cover-Art und Musik gleichsam beeindruckt war, hatte ich keine Ahnung, daß auch dieses einer ihrer Boten war - dabei scheint es mir inzwischen, als wäre dies nicht zu übersehen und -hören gewesen.

Wenig später fand ich einen Flyer, der ein Konzert besagter Gruppierung ankündigte und beschloß, mir dies mal anzuschauen. Doch wie schlug ich mir innerlich vor den Kopf, als ich mich abermals von dunklen Gestalten umgeben sah. Ungeachtet dessen wußten mich Erblast dort in ihren Bann zu ziehen, sicherlich nicht zuletzt dank Unterstützung der Vorgruppe "la floa maldita", und nachdem ich die CD zwei weitere Male probegehört hatte, wurde sie letztlich mein.

Ich bin neu in dieser Welt und somit obliegt es mir kaum, ihre Hintergründe, Motive, Kultur, Geflogenheiten, Geschichte zu benennen. Worüber ich aber berichten kann, ist dieses Album.

Aber bevor es losgeht, löschen wir noch das Licht und entfachen die Kerze zu unserer Linken. Schon rieseln die ersten Töne in das flackernde Dunkel...

...ein Tropfen trifft die spiegelglatte Oberfläche eines unterirdischen Sees. An den feuchtkalten Wänden der Höhle hallt der Aufprall dumpf wieder. Ein zweiter, ein dritter und etliche weitere folgen. Bewegung kommt in das stille Gewässer, rhythmisch entstehen kreisrunde Wogen, die sanft am Ufer zerschellen. Die Stimme Oswald Henkes setzt ein... " "Ismael", der erste Track des Albums, ist der einzige, den man im klassischen Sinne als Song bezeichnen könnte, er ist auch der einzige englisch vorgetragene. Im Gegensatz zu den anderen Kompositionen des Albums ist er sogar so rhythmisch, daß er den Körper in langsam schwingende Bewegungen versetzen kann.

Schon das zweite Stück, "Alles was schön ist", ist gänzlich anders... ...langsam schwillt ein tiefes Schwingen an, hält sich, während O.H. mit seinem Vortrag beginnt. Was hier zu hören ist, läßt sich als vertontes Gedicht bezeichnen - und was für eines. Während es inhaltlich in tiefsinnigen Satzfetzen den Rückblick auf die frühjugendliche Liebe, die erste Liebe, darstellt, wirkt die betont deutliche Vortragsweise O.H.'s vorwurfsvoll, geradezu verachtend. Unterstützt wird dies freilich durch die frostig-düstere Musik, die ihn begleitet.

Ähnlich verhält es sich mit dem zweigeteilten Titel "Wolf", die Mehrzahl der Stücke ist jedoch instrumentaler Natur. In der ewigen Suche nach der "Wahrheit", ebenfalls ein Zweiteiler, brauen sich dunkle Wolken zusammen, wird ein anhaltender Spannungsbogen aufgebaut, der sich aber nie entlädt.

Nach dem zweiten rhythmischeren Track "Warum" schließt das Album schließlich mit einem leicht irisch klingenden Cello-Violinen-Duett "Was liebt Ihr den, der aller Welt verhaßt ist?".

Die neun Titel dieses Albums bieten 47:35 Minuten lang frostige und düstere Musik, teilweise mit poetischen Texten in beschwörender Vortragsweise verziert - keine leichte Kost für nebenbei, sondern schweres geistvolles Material zum zurückgezogenen Genießen.

Das Booklet ist nur achtseitig, aber ansprechend gestaltet und mit einem sehr schönen Text, der der Musik ein Motiv verleiht, und den Texten der beiden benannten vertonten Gedichte versehen.

"Erblast-I" enthält übrigens auch sehr schöne Titel, vor allem auch mehr dieser herrlichen Texte, dort allerdings meinem Empfinden nach leider nicht so stark vorgetragen, wie hier.

Der Preis für beide CD's beträgt jeweils 30,-DM und wer dann noch nicht genug hat, sollte einen Blick auf die Auswahl von "Goethes Erben" werfen, meinem Verständis nach Oswald Henkes erstem Projekt. Dort könnte die Scheibe auch zu finden sein, wenn sie nicht unter dem Anfangsbuchstaben "E" einsortiert ist.

© 1997 KODEX [edition Suhshia Light]


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